Das Interview mit der Berliner Morgenpost
Stefan Evers (CDU) ist neuer Finanzsenator in Berlin – und steht gleich unter Druck. Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Berlin. Kaum im Amt, steht Finanzsenator Stefan Evers (CDU) bereits unter Druck. Bis zur Sommerpause soll ein Haushaltsentwurf für die kommenden beiden Jahre vorliegen. Bis dahin muss er angesichts außerplanmäßiger Mehrausgaben, zum Beispiel für ein neues 29-Euro-Ticket, Verhandlungen mit den Fachsenatoren über Einsparungen an anderer Stelle führen. Im Interview mit der Berliner Morgenpost spricht Evers über finanzielle Rahmenbedingungen und seine Pläne für das Personal im öffentlichen Dienst.
Berliner Morgenpost: Herr Evers, Sie waren bisher CDU-Generalsekretär, haben den Wahlkampf gemanagt und sich politisch eher zuspitzend geäußert. Wie schwer fällt Ihnen der Wechsel in ein Senatsamt?
Natürlich ist es eine Umstellung, vom Parlament in die Regierung zu wechseln. Ich tauche gerade in diese große Verwaltung ein und lerne das Haus und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen. Letzteres ist der angenehmste Teil der Einarbeitung.
Ist eine Finanzverwaltung eher weniger ideologisch-politisch unterwegs als eine Fachverwaltung, weil es ja um nackte Zahlen geht?
Finanzministerien haben immer ein besonderes Selbstverständnis. Ich sehe uns als Dienstleister: Wir unterstützen die Kolleginnen und Kollegen im Senat dabei, Prioritäten zu setzen. Und natürlich stehen wir hilfreich beim Sparen zur Seite und weisen freundlich auf die Grenzen des Machbaren hin. Aber die Zuständigkeiten reichen ja noch weiter. Wir sind auch für das Landespersonal zuständig. Aus dieser Rolle heraus will ich Motor der Verwaltungsreform sein. Und mit unseren 57 Landesbeteiligungen haben wir ja gewissermaßen noch einen größeren Konzern zu führen.
Wie kam es, dass Sie sich für das Finanzressort entschieden haben? Sie sind finanzpolitisch bislang nicht so stark in Erscheinung getreten.
Wer Politik macht, hat immer auch mit Finanzen zu tun. Die Finanzverwaltung ist ein Gestaltungsressort. Und ich bin jemand, der gern gestaltet. Natürlich lerne ich gerade auch eine Menge dazu – und stelle auch viele Fragen. Manche davon mögen für das Haus ungewohnt sein, vielleicht aber auch belebend.
Wir fragen uns, wo Sie den Schatz gefunden haben, mit dem Sie die ganzen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag finanzieren wollen?
Den Koalitionsvertrag müssen Sie sich wie eine Seekarte vorstellen. Danach richten wir unseren Kurs aus. Mit wie viel Wind in den Segeln wir dann unsere Ziele erreichen können, werden die Haushaltsberatungen zeigen. Der Zeitplan dafür ist sehr ambitioniert. Bis Mitte Juli soll der Senat entscheiden. Dann werden die parlamentarischen Beratungen folgen. Im Dezember soll das Haushaltsgesetz beschlossen werden. Natürlich gibt es immer mehr Wünsche als verfügbare Mittel. Deshalb sage ich: Prioritäten setzen und Disziplin wahren. Immerhin hat die Steuerschätzung für Berlin ergeben, dass wir nicht mit weniger Einnahmen als erwartet auskommen müssen. Aber die Spielräume sind auch nicht gewachsen.
Es soll eine Neuauflage des 29-Euro-Tickets geben – das kostet je nach Ausgestaltung zwischen 100 und 300 Millionen Euro pro Jahr – wird es ein 29-Euro-Ticket für alle geben?
Wir werden alles daransetzen. Dafür arbeiten wir auf mehreren Ebenen und müssen uns zum Beispiel mit Brandenburg verständigen. Und wir müssen klären, wie es konkret ausgestaltet wird. Mit dem Deutschland-Ticket für 49 Euro haben wir jetzt eine Basis, auf der man gegebenenfalls aufsetzen kann. Das prüft die Verkehrsverwaltung gerade. Aber das Ziel ist fest verabredet: Die Wiedereinführung des 29-Euro-Tickets für alle.
Ist es billiger, das Ticket von den 49 Euro herunter zu subventionieren, als eine eigene nur in Berlin geltende Billig-Monatskarte einzuführen?
Mir kommt es auf das Ergebnis an. Das muss sein, dass die Berlinerinnen und Berliner nicht mehr als 29 Euro pro Monat für den Nahverkehr bezahlen müssen.
Kann das noch in diesem Jahr kommen oder erst dann, wenn der neue Haushalt beschlossen ist?
Das hängt davon ab, wie schnell wir uns auf ein Modell verständigen und wie eine Einigung mit Brandenburg aussieht. Und natürlich von den Möglichkeiten, die wir in diesem Jahr noch im Haushalt haben.
Ein großer Kostenfaktor ist auch das Personal. Sie haben angekündigt, die Entlohnung der Landesbediensteten auf Bundesniveau zu erhöhen, das wäre ein Plus von rund zehn Prozent und jedes Prozent mehr Gehalt kostet rund 100 Millionen Euro extra. Wie wollen Sie das finanzieren?
Es geht um viel mehr als die Entlohnung. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Berliner Verwaltung. Entscheidend ist doch: Welche Voraussetzungen muss ich schaffen, um auch in fünf, zehn und fünfzehn Jahren die öffentlichen Dienstleistungen erbringen zu können, auf die die Menschen einen Anspruch haben. Die Lage ist ernst. Bis 2031 werden voraussichtlich knapp 40.000 von derzeit rund 130.000 Beschäftigten allein altersbedingt ausscheiden. Wir stehen in einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe für unsere Verwaltung. Darauf müssen wir reagieren.
Wie soll das gehen?
Wir müssen ein attraktiver Arbeitgeber sein. Berlin ist in einer besonderen Situation. Wir haben hier Bundesministerien, Behörden und Verbände und auch die Wirtschaft wächst ordentlich und braucht Personal. Um wettbewerbsfähig zu sein, brauchen wir mittelfristig die Besoldung auf Bundesniveau. Vor allem aber brauchen wir eine Vision davon, wie die moderne Verwaltung in zehn Jahren arbeitet und wie viele Menschen wir noch für eine Karriere im öffentlichen Dienst gewinnen können. Ich habe mein Haus gebeten, dafür Szenarien zu entwickeln und ein Zielbild zu erarbeiten. Meine These ist: Eine bessere Besoldung wird helfen, auch weiterhin gute Köpfe für Berlin zu begeistern. Und trotzdem werden wir schon aus demografischen Gründen nicht in der Lage sein, die aktuelle Zahl von Stellen im Landesdienst zu besetzen. Das schaffen wir gegenwärtig schon nicht. Zum Jahreswechsel waren in der Berliner Verwaltung rund 6800 Stellen unbesetzt.
Was bedeutet das für den öffentlichen Dienst?
Wir haben eine Menge Potenzial für mehr Effizienz in der Verwaltung, durch Digitalisierung und bessere Strukturen. Das muss parallel zu einer nachhaltigen Personalentwicklung geschehen. Höhere Gehälter werden in einigen Jahren finanziell nicht mehr so ins Gewicht fallen wie heute mit rund 130.000 Beschäftigten.
Aber die Stellen sind ja da. Dann müssen Sie sagen, welche wo gestrichen werden.
Es geht nicht um Stellenstreichungen. Es geht um die Frage, wie viele Menschen wir in Zukunft überhaupt noch für den öffentlichen Dienst gewinnen können. Dafür müssen wir dringend eine realistische Personalbedarfsplanung anschieben. Wir brauchen eine Verabredung, wie die Verwaltung in einem Jahrzehnt eigentlich aussehen soll, was ihre Aufgaben sind und wie wir die Strukturen im Hintergrund besser organisieren. Dabei können wir von anderen Ländern und Städten in Europa lernen. Das liegt auch im Interesse unserer Beschäftigten.
Wie schnell muss das geschehen, damit Sie nicht ins Loch fallen, das die Ruhestandswelle hinterlassen wird?
So schnell wie möglich. Wir haben für gar nichts viel Zeit. Einen Verzug können wir uns nicht erlauben. Wir müssen Digitalisierung und Personalplanung zusammendenken. Und wir müssen dringend das Dienstrecht modernisieren. Es muss leichter möglich werden, sich weiterzuentwickeln. Mit diesem Prozess kann man nicht erst 2025 oder 2027 beginnen. Sonst besteht tatsächlich die Gefahr, durch die demografische Entwicklung in eine chaotische Situation zu geraten. Für mich ist die Modernisierung der Verwaltung eine Schicksalsfrage für die Stadt. Nur durch eine tiefgreifende Strukturreform werden wir die Funktionsfähigkeit der Berliner Verwaltung aufrecht erhalten können.
Aber mit dem Doppelhaushalt 2024/25, zu dem ja immer auch Stellenpläne gehören, wird doch nichts passieren können, oder?
Das hat nichts mit den laufenden Haushaltsberatungen zu tun. Es geht um eine Grundsatzentscheidung, wohin Berlin in den nächsten Jahren steuert. Ein Folgesenat ab 2026 wird kaum noch eine Chance haben, diese Weichen rechtzeitig zu stellen. Deshalb hoffe ich auf einen breiten, überparteilichen Konsens. Wir müssen jetzt Entscheidungen treffen für die Verwaltung der Zukunft.
Ist ihnen eigentlich egal, ob Berlin mit einem solchen Sonderweg aus der Tarifgemeinschaft der Länder fliegt, wo wir ja nach der nicht im gemeinsamen Tarifvertrag enthaltenen Hauptstadtzulage bereits auf Bewährung sind?
Das kann niemandem egal sein. Das Ziel muss sein, Mitglied der Tarifgemeinschaft zu bleiben. Aber noch wichtiger ist es mir, die Interessen Berlins zu wahren. Wir müssen der besonderen Situation in der Hauptstadt Rechnung tragen. Die Berliner Verwaltung muss auch 2030 noch funktionsfähig sein.
Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hat die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ins Gespräch gebracht. Kann das angesichts der geschilderten Lage in ihrem Sinne sein?
Sie hat ein Modellprojekt in ihrem Zuständigkeitsbereich in Aussicht gestellt. Dann werden wir beobachten, wie sich das Ergebnis darstellt. Bei der Flexibilisierung des Arbeitsalltages sind wir ja schon relativ weit in Berlin. Dass man die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich reduziert, stelle ich mir allerdings schwierig vor.
Mit der Zinswende steigt auch die Belastung für den Berliner Haushalt mit seinen derzeit 66 Milliarden Euro Schulden. Wie wirkt sich das auf Ihre Planungen aus?
Das trifft uns mit gewisser Verzögerung. Viele unserer Kredite haben ja eine lange Laufzeit. Das wird Schritt für Schritt umgeschichtet. Aber natürlich engt die Zinsentwicklung unsere Spielräume ein. Das ist auch allen bewusst. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Zustand der vergangenen Jahre ein Ausnahmezustand war…
… wegen der Null-Zins-Politik…
Genau. Wir kehren gewissermaßen zurück in einen zinspolitischen Normalzustand. Darauf bereiten wir uns vor. Und natürlich legen wir Wert darauf, dass Investitionen der öffentlichen Hand wirtschaftlich sind und uns künftige Mehrbelastungen ersparen.
Werden Sie dafür private Partner ins Boot holen?
Ich erlege mir jedenfalls keine Denkverbote auf, das war noch nie mein Ding. Wir haben im Koalitionsvertrag bereits einige Modellvorhaben für öffentlich-private Partnerschaften benannt. Und bekanntlich streben wir auch beim möglichen Erwerb der Fernwärme die Zusammenarbeit mit starken industriellen Partnern an.
Egal in welcher Form das realisiert wird, steht da ein weiteres Milliardenprojekt an?
Das ist so. Aus vertraglichen Gründen darf ich mich zum gegenwärtigen Stand der Verhandlungen nicht äußern. Aber es sei gesagt: Wir erhoffen uns am Ende einen mehrfachen Ertrag. Die Fernwärme muss wirtschaftlich betrieben werden und gleichzeitig eine klimapolitische Dividende erbringen. Und das alles bei einer sozialverträglichen Preisgestaltung. Dafür braucht Berlin einen steuernden Einfluss.
Da war Ihre Partei bis vor kurzem aber anderer Meinung?
Wir glauben, dass dieses Projekt in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft gelingen kann. Es ist gut, dass wir uns darüber mit der SPD einig sind.
Wenn wir zusammenfassen, dann stehen Sie vor der Herausforderung, mit dem 29-Euro-Ticket, der Zinswende und dem Rückkauf der Fernwärme erhebliche Mehrausgaben bewältigen zu müssen. Gleichzeitig haben Sie nicht mehr Geld zur Verfügung. Wo wird an anderer Stelle eingespart – oder verschuldet sich Berlin weiter?
Naturgemäß fehlt es einem Finanzsenator nicht an Fantasie, wo gespart werden kann.
Dann legen Sie mal los.
Jetzt sind erst einmal die Senatsverwaltungen gefragt, in ihren Bereichen Schwerpunkte zu setzen und Einsparmöglichkeiten zu identifizieren. Wo das nicht gelingt, helfen wir gern. Aber ich will den Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen jetzt nicht vorgreifen.
Sehr viel Geld wurde zuletzt über die Landesbetriebe ausgegeben, die sich zum Teil verschuldet haben. Kann das so weitergehen, oder stößt man da an Grenzen?
Wir werden uns die wirtschaftliche Situation der Landesbetriebe genau ansehen. Der neue Bausenator hat ja schon einiges zur Situation der Wohnungsbaugesellschaften gesagt. Unsere Betriebe müssen wirtschaftlich arbeiten können. Wir dürfen sie nicht mit politischen Begehrlichkeiten überfrachten. Wenn wir einer BVG beispielsweise in kürzester Zeit die Elektrifizierung ihrer Busflotte abverlangen, dann dürfen wir sie damit nicht alleine lassen. Es ist mir aber eine Herzensangelegenheit, dass die Landesunternehmen nicht dauerhaft Zuführungen erhalten müssen.)
Die neue Koalition hat ein Sondervermögen für Klima- und Umweltschutz in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro angekündigt. Damit hebeln Sie die Schuldenbremse aus. Was ist die Begründung dafür?
Wir werden die Schuldenbremse nicht aushebeln. Die Verfassung gibt den Rahmen vor. Aber wenn man sich die dramatische Lage vor Augen führt, dann weiß man, dass bestimmte Investitionen nicht noch fünf oder zehn Jahre warten können. Schließlich leben wir auch klimapolitisch auf Pump – und das ist ein Kredit, den niemand je zurückzahlen kann. Wir müssen eine gewaltige Anstrengung unternehmen, und zwar über den Haushalt hinaus. Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von fossilen Energien schnellstmöglich befreien. Und wir müssen dafür sorgen, dass Klimaschutz für alle bezahlbar bleibt.
Wieso wird dann nicht einfach die Schuldenbremse abgeschafft. Man könnte argumentieren, dass jetzt nicht die Zeit ist, keine Schulden zu machen. Das Geld über ein sogenanntes Sondervermögen aufzunehmen, ist doch am Ende das gleiche. Ist das nicht unredlich?
Es geht um nachhaltige und kluge Investitionen, die sich in vielfacher Weise bezahlt machen werden. Und natürlich werden wir genau darauf achten, dass hier kein Missbrauch erfolgt. Was die konkrete Ausgestaltung angeht, kommen unterschiedliche Wege zur Einrichtung des Sondervermögens in Betracht.
Es bestehen juristische Vorgaben für die Einrichtung von Sondervermögen, unter anderem, dass ein Ereignis unvorhersehbar und zeitlich begrenzt eingetreten ist. Beides trifft für den Klimawandel nicht zu – oder?
Es gibt ja verschiedene Arten von Sondervermögen. Mit mir wird es keinen rechtlich unsicheren Schnellschuss geben.
Das klingt so, als ob es noch eine Weile dauert, bis es so weit ist.
Das glaube ich nicht. Ich bin zuversichtlich, dass wir das bis zum Sommer hinbekommen. Noch einmal: Es geht um Prioritäten, die keinen Aufschub dulden.
Was wird mit dem Geld genau gemacht?
Ein Sondervermögen ist kein Wunschkonzert. Wir werden nur Maßnahmen und Investitionen unterstützen, die nachweislich dazu beitragen, dass wir schnellstmöglich die energiewirtschaftliche Abhängigkeit Berlins beenden, das Erreichen unserer Klimaziele beschleunigen und unsere Stadt so besser auf den Klimawandel vorbereiten.
Sie jonglieren mit vielen Bällen gleichzeitig. Alles soll schneller, einfacher, klimafreundlicher werden, Geld wollen Sie auch beschaffen – haben Sie die Sorge, dass das am Ende möglicherweise nicht klappt?
Sich Sorgen zu machen ist nicht der ideale Weg zum Erfolg. Ich bin und bleibe Optimist. Sonst hätte ich keines meiner politischen Ämter jemals angetreten.