Die Debatte über den Ausbau der A100 entzweit seit Jahrzehnten das politische Berlin. „Nicht zu Ende gedacht“, schimpfen die einen. „Nicht zu Ende gebaut“, klagen die anderen. Die Mehrheit der Berliner will den Weiterbau, heißt es immer wieder in den Umfragen. Und trotzdem kämpfen die Regierungsparteien mit zunehmender Verbissenheit dagegen an. Die Wahrnehmung zwischen Bevölkerung und der rot-grün-roten Koalition klafft beim Thema Stadtautobahn weit auseinander, so viel ist sicher.
Tatsächlich ist der Konflikt um den Weiterbau der A100 nur einer von vielen Schauplätzen des Streits um die Frage, wie wir uns in Zukunft fortbewegen wollen. Und dieser Streit wird gerne auch ideologisch und mit harten Bandagen geführt. Die Kontrahenten unterstellen einander wahlweise eine vorgestrige Betonmentalität oder eine realitätsferne Bullerbü-Agenda. Die Argumente des jeweils anderen finden kaum Gehör, geschweige denn Verständnis.
Tatsächlich stammt die Planung für den niemals vollendeten Autobahn-Ring aus den Fünfzigerjahren. Eine Zeit, in der die Stadtplanung vor allem auf das Auto zugeschnitten war. Heute sind die Menschen jedoch viel weiter, als so mancher Politiker glaubt. Niemand wünscht sich Betonwüsten zurück. Genau so wenig wünschen sich die Menschen allerdings das andere Extrem. Die Mobilitätsbedürfnisse einer zunehmenden Anzahl von Berlinern komplett auszublenden, hat auch das Potenzial einer tieferen gesellschaftlichen Spaltung.
Anstatt die Grabenkämpfe früherer Jahrzehnte unter immer neuen Vorzeichen zu führen, sollte man deshalb einen neuen, unverstellten Blick auf die A100 wagen und die Vor- und Nachteile ihres Weiterbaus offen abwägen. Wobei ich meine persönliche Betroffenheit nicht verhehlen will: Als Anwohner wäre ich von einem Ausbau der Autobahn von Treptow bis zur Storkower Straße ganz unmittelbar tangiert.
Deshalb will ich die Treptower Perspektive meinen Betrachtungen voranstellen: Der Ausbau der A100 von Neukölln bis zum Treptower Park (Fertigstellung 2024) macht ohne die Weiterführung bis mindestens zur Frankfurter Allee überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil: Statt den Verkehr in den Wohngebieten zu reduzieren, führt ein Abschluss der Autobahn an dieser Stelle zu mehr Verkehr.
Für die Anwohner der umliegenden Stadtquartiere heißt das weniger Lebensqualität durch schlechtere Luft und mehr Stau. Eine unnötige Mehrbelastung, bei der kaum etwas gewonnen, aber vieles verschenkt wäre. Schließlich ist Sinn und Zweck dieser Autobahn gerade die Entlastung innerstädtischer Wohnbereiche vom Durchgangsverkehr. Das kann und wird aber nur gelingen, wenn man die A100 an die großen östlichen Magistralen anbindet – und sie nicht mitten in Wohngebieten enden lässt.
Nur bei einem Weiterbau gewinnen sowohl die gebeutelten Pendler im Ostteil Berlins als auch die Bewohner der Innenstadt. Die einen kommen schneller an ihr Ziel und die anderen profitieren von einer besseren Wohn- und Lebensqualität. Und das alles auch noch finanziert vom Bund, besser kann man es eigentlich kaum treffen.
Gegen den Weiterbau der A100 wird in aller Regel prominent die Klimapolitik ins Feld geführt. Das kann nur mit fehlender Vorausschau und Weitsicht zu tun haben. Zum einen wird sich der Individualverkehr bis 2035 massiv verändert haben. Die Zukunft des Automobils liegt in klimaneutralen Antrieben und nachhaltigen Werkstoffen. Zum anderen wird eine Autobahn zukünftig anders aussehen als in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die A100 hat großes Potenzial als „Klimaautobahn“.
Das ist weder ein Marketing-Gag, noch Utopie: In Deutschland, Europa und den USA werden reihenweise Lösungen erforscht und getestet, wie Autobahnen einen echten Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten können.
In Kalifornien will man aus Schnellstraßen Kraftwerke machen, indem man sie mit Solarzellen überdacht. Als Nebeneffekt wird auch der Verkehrslärm reduziert. Schon jetzt plant man dort, einen 24 Kilometer langen Autobahnabschnitt mit Photovoltaikanlagen auszurüsten. Nach aktuellem Stand der Technik würden sie 150 Gigawattstunden Strom pro Jahr erzeugen – den Bedarf von 40.000 Haushalten.
Doch man muss nicht in die USA schauen, um kreative, innovative und klimafreundliche Straßenprojekte zu finden. Der Blick ins nunmehr schwarz-grün regierte Schleswig-Holstein reicht. In Berkenthin wird eine Brücke im Winter mit der Wärme aus dem Sommer beheizt. Die Gemeinde macht sich den Umstand zunutze, dass Straßen im Sommer bis zu 65 Grad Celsius heiß werden und man diese Wärme speichern kann.
Es gibt darüber hinaus das Potenzial, Straßen als Baustein der in Berlin kaum vorhandenen Ladeinfrastruktur für E-Autos zu nutzen. Auch hier ist der Nachweis der Machbarkeit längst erbracht. E-Autos können während der Fahrt kontaktlos und mit hohem Wirkungsgrad geladen werden. Unter anderem forscht das deutsche Fraunhofer-Institut an dieser Technologie.
Betonmentalität unterstelle ich deshalb vor allem denen, die ihren Widerstand gegen den Weiterbau der A100 mit einem vorgestrigen Bild der Zukunft der Mobilität verbinden. Sie sehen vor allem Betonwüsten, Abgase und „Autowahn“. Ich hingegen frage mich: Warum eigentlich sollte Deutschlands Hauptstadt nicht ganz vorne stehen bei innovativer Verkehrsinfrastruktur? Weshalb können wir in Berlin nicht eine gute Mobilität für alle schaffen?
Egal, ob die Menschen in der Innenstadt oder in den Randbezirken wohnen, ob sie gerne Auto, Rad, Bahn oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen – ich bin davon überzeugt, dass Berlin eine Vorzeigestadt in der Mobilität werden kann.
Dazu braucht es aber politischen Willen. An Sachverstand und Forschergeist für Zukunftsprojekte mangelt es Berlin ganz sicher nicht. Woran es fehlt, ist ein Senat mit Fantasie, Entscheidungsfreude und eine gelebte Ermöglichungs-Kultur. Die Blockadehaltung bei der A100 ist symptomatisch für einen Senat, der sich fragt: Wie kann man Neues verhindern, anstatt Chancen, die buchstäblich auf der Straße liegen, zu nutzen. So wurde selten Zukunft gebaut.